Die letzten Tage des Krieges

Das Herannahen der Alliierten zeigte sich für die Frielinger ab März 1945 immer deutlicher. Zwar war am 5. Januar 1945 ein Flugzeug nahe der heutigen Baumschule Gänger abgestürzt[1], aber jetzt wurde es unübersehbar.  Die Deutschen brachten ihre Gefangenen aus Westfalen und dem westlichen Niedersachsen Richtung Osten. So war am 3. April das „Arbeitserziehungslager unter Leitung der Gestapo Hannover“ in Lahde, Kreis Minden aufgelöst und die Gefangenen – meist Russen und Franzosen – in Richtung Hannover getrieben worden.[2] Zeitzeugen erinnerten sich, dass diese zu Beginn der Züge in Scheunen der Bauern übernachteten. Ausgehungert hielten sie sich an die Kartoffeln, die die Bauern zum Pflanzen bereitgestellt hatten,[3] und auch an Rüben, die in Erdsilos lagerten. In den letzten Tagen vor den Kampfhandlungen leiteten Uniformierte die Gefangenenzüge ohne Aufenthalt durch Frielingen.

 

Zeitzeugen berichteten, dass alliierte Tiefflieger gegen Kriegsende auf einzelne Radfahrer geschossen haben. Die betroffenen Personen konnten sich nur durch einfaches Fallenlassen oder durch Sprünge vom Fahrrad in die Gräben an den Wegen oder in die an den Straßen gegrabenen „Einmannlöcher” in Sicherheit bringen.

Als die 2. Britische und die 9. US-Armee Niedersachsen halb durchschritten hatten und am Sonnabend, den 7. April 1945 die Kreise Nienburg (Weser) und Neustadt a. Rbge. erreichten, war die Leinebrücke in Neustadt von zurückweichenden deutschen Soldaten gesprengt und die Bordenauer Brücke somit zum Nadelöhr geworden.[4] Am 7. April 1945 rückten die Alliierten in Bordenau ein und blieben dort. Während des Tages blieb es ruhig. Am Abend und in der Nacht zum Sonntag schoss die Flak bei Meyenfeld und vermutlich auch die bei Stelingen oder auch die, die noch die an anderen Stellen stationiert war – in westliche Richtung. Am späten Abend dieses Tages und in der Nacht gab es aus westlicher Richtung Artilleriefeuer auf Frielingen. Einige Gebäude wurden beschädigt, Totalschaden entstand aber noch nicht. Der sich im Ort zu Besuch aufhaltende Anton Eeckhoudt wurde am Abend des 7. April 1945 durch einen Granatsplitter tödlich verletzt und an der Abzweigung Farlingsweg/Mühlenweg beerdigt.

Am Sonntagmorgen (8. April) verließen viele Frielinger das Dorf und zogen mit den nötigsten Esswaren und Kleidungsstücken in den Wald am Düningsweg (Richtung Otternhagen), andere in die Feldmark in Richtung Otternhagener Moor. Im Laufe des Sonntags hatte die „Kampfgruppe der SS-Division Wiking“ unter Führung eines „Nico“[5] genannten Hauptsturmführers[6] Frielingen mit vier Jagdpanzern und einigen Schützenpanzern „besetzt“, indem sie z. B. die hier und dort gehissten weißen Fahnen entfernten.

Das Gefangenenlager Frielingen, in dem sich zu diesem Zeitpunkt vor allem französische Kriegsgefangene befanden, löste sich in diesen Wirren auf. Vier – wahrscheinlich nach den Gefangenenzügen – in Frielingen gebliebene Russen wurden im Bereich der Kreisstraße nach Osterwald in der Nähe des Hauses Nr. 61 von SS-Angehörigen erschossen.[7] Sie wurden an der Straße, vermutlich von Frielingern und/oder französischen Kriegsgefangenen, begraben, auch um den erwarteten Alliierten keinen Vorwand für Vergeltungsmaßnahmen zu liefern.

Drei Luftwaffenhelfern, die auf dem Fliegerhorst Wunstorf einer Flakeinheit angehörten, dort in alliierte Gefangenschaft geraten, dann aber geflohen waren, gelang es durch die Frontlinie zu kommen und Frielingen zu erreichen. Sie wurden von der Besatzung eines deutschen Panzers nach den Einheiten der Alliierten und ihren Panzerfahrzeugen befragt. Am Sonntagnachmittag setzte stärkerer Beschuss durch alliierte Artillerie ein, der bis in die Nacht zum Montag andauerte. Erneut wurden Gebäude beschädigt, aber keine völlig zerstört oder in Brand geschossen.

Am Montagvormittag begann ein weiterer Vormarsch der Alliierten. Die Panzer der SS-Kampfgruppe beschossen sie, daraufhin feuerten die amerikanischen Truppen mit Maschinenwaffen und Leuchtspurgeschossen auf Frielingen. Dabei brannten die Gebäude des Hofes Öhlschläger Nr. 1 sowie die Scheunen von Müller Nr. 7, Kolze Nr. 14, Bohle (heute Bittasch) Nr. 23 und Feesche (heute Hotel Bullerdieck) Nr. 30 ab. Frau Frieda Wölfel wurde am Bein getroffen, als sie den Bunker verlassen hatte, das amputiert werden musste. Einige Familien blieben auch in diesen Tagen im Ort, sie hielten sich zeitweise in den Bunkern auf. Andere waren zum Füttern des Viehs kurzzeitig ins Dorf zurückgekehrt. Ein SS-Mann, der sich nicht im Panzer befand, wurde in der Nähe der Bordenauer Straße tödlich getroffen. Er wurde danach neben dem Hof Müller vorläufig beerdigt.

Der Bericht des Rundfunks sprach von der „Schlacht von Frielingen“.[8] Nach dieser sinnlosen Gegenwehr verließen die Reste der SS-Kampfgruppe den Ort und der Einmarsch der Alliierten nach Frielingen vollzog sich ohne Widerstand. In der Kreisbeilage Neustadt der Hannoverschen Presse erschien 1950 ein Bericht mit dem Titel „Frielingen mußte den Rücken hinhalten“.[9] Dort berichten die Autoren, dass Polizeimeister Asche – versteckt in einem Bunker an der Kreuzung der Reichsstraße 6 – den Einmarsch der ersten amerikanischen Soldaten beobachtete. Die alliierten Einheiten kamen überwiegend über den Klüterfeldweg. Für die in einem Waldstück an Düningsweg sich aufhaltenden Einwohner kamen sie ebenfalls aus westlicher Richtung. Als Befreier wurden sie nicht begrüßt.

Am Montagabend gegen 19.00 Uhr überflogen zwei deutsche Flugzeuge – Zeitzeugen meinen Me 109 – Frielingen. Sie haben offenbar auf die Fahrzeuge der Alliierten, die auf den Höfen und Straßen standen, geschossen. Die Flugzeuge wurden von den alliierten Truppen beschossen. Durch diesen Schusswechsel brannte das Haus Müller Nr. 7 völlig ab.

Am späten Nachmittag und gegen Abend des 9. April 1945 kehrten die meisten Frielinger in den Ort zurück. Den am Düningsweg sich aufhaltenden Personen wurde von einem alliierten Offizier gesagt, dass sie in das Dorf zurückkehren sollten. Es könne sonst geschehen, dass von anderen Truppenteilen auf Personen geschossen würde, die sich in der Nacht im Wald aufhielten. Bei der Rückkehr mussten einige Einwohner feststellen, dass ihre Häuser von Angehörigen der alliierten Truppen als Quartier in Benutzung genommen waren. Die betroffenen Familien fanden vorübergehend bei Verwandten oder Bekannten Unterkunft. Nach einigen Tagen zogen die Einheiten weiter und die Bewohner kehrten in ihre Häuser zurück. Allerdings wurden etliche Gebäude noch eine Zeit lang von den Alliierten genutzt.

Die Alliierten durchsuchten nach dem Einmarsch die meisten Häuser nach Soldaten, Waffen und Munition. Einige Frielinger Männer hielten sich für etliche Zeit noch in Verstecken auf. Die Stelle, an der die vier erschossenen Russen begraben waren, wurde entdeckt und zunächst Asche von den Alliierten dafür verantwortlich gemacht. Einige Dorfbewohner berichteten, dass als Vergeltungsmaßnahme vier – andere sagen auch acht – Deutsche erschossen werden sollten. Durch Aussagen von französischen Kriegsgefangenen und polnischen Zwangsarbeitern, die bestätigten, dass sie nicht von Dorfbewohnern ermordet worden wären, ist dies verhindert worden. Den toten Russen musste an der Stelle ihrer Ermordung eine ordentliche Grabstätte errichtet werden. Tischlermeister Wilhelm Wehde aus Osterwald lieferte im Juni „4 Stück Eichenkreuze“ in orthodoxer Form und Zimmermeister Ernst Finke errichtete im August 1945 einen Staketzaun um die Grabstätte.[10] Ihre Pflege ist ehemaligen Mitgliedern des Bundes Deutscher Mädel zur Pflicht gemacht worden. Den umzäunten Begräbnisplatz hat es bis Oktober 1947 gegeben. Dann führten Karl Püttmann (Nr. 27) und Erich Kurowski (Nr. 10) im Auftrag der Neustädter Behörde im Rahmen der „exhumation or transhumation of Alliied Soldiers“ im Kreis Neustadt die Umbettung zum Friedhof in Horst durch.[11] Am 12. Oktober 1961 wurden sie nochmals in ein Sammelgrab auf dem Friedhof des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Lichtenhorst umgebettet, ebenso wie der am 7. April 1945 in Frielingen gestorbene Anton Eeckhoudt.

Am Abend des 10. April erreichte die Einheit 910 der britischen Militärregierung unter Führung des Lieut. Col. W. Glendinning Neustadt mit dem Auftrag, für den Kreis Neustadt die Verwaltung zu übernehmen. In den Kriegstagebüchern dieser Einheit[12] heißt es, dass britische Truppen ab 12. April überall zu sehen waren.

Eines Morgens, so berichten Zeitzeugen, sahen sich die Frielinger von Einheiten der Briten umstellt. Es wurden Personen aus Frielingen weder heraus gelassen noch hinein. Die einzelnen Häuser wurden von Soldaten aufgesucht. Sie befragten die Personen, die sich in den Gebäuden aufhielten, und verglichen die Namen mit denen auf den Bewohnerlisten, die an den Eingangstüren anzubringen waren. Fast alle männlichen Einwohner zwischen 15 und etwa 65 Jahren wurden in die Gaststätte Feesche gebracht, um dort vernommen zu werden.

Darunter waren auch einige Männer, die sich zufällig in Frielingen aufhielten, z.B. als Hilfe bei Verwandten zur Beseitigung von Kriegsschäden. Ein Militärfahrzeug brachte die festgesetzten Personen nach Neustadt. Dort kamen sie in eine mit Stacheldraht abgesperrte Fläche am Amtsgarten des Schlosses Landestrost und wurden noch am Abend des gleichen Tages mit Militärlastwagen in das Schwafördener Gefangenenlager transportiert, wo sie die Nacht im Freien verbrachten.

In Schwaförden wurden am nächsten Tag nochmals Befragungen und Vernehmungen vorgenommen. Dabei wurden Angehörige der Wehrmacht getrennt behandelt. Die Frielinger Zivilgefangenen wurden in ein Lager in der Stadt Sulingen gebracht, ein umzäuntes Grundstück einer Gastwirtschaft. Die Unterbringung erfolgte in einem Saal, in dem sich mehrstöckige Schlafgelegenheiten befanden, und in Kuh- und Schweineställen, in die Stroh gelegt worden war. Die Gefangenen wurden zu Arbeiten für die alliierten Truppen eingesetzt. Sie mussten riesige Mengen von Benzinkanistern zur Versorgung von Truppeneinheiten verladen und in einem Durchgangslager für die Rückführung von Kriegsgefangenen aus Frankreich, Belgien und anderen westlichen Ländern arbeiten. Nach einigen Wochen wurden die in Frielingen Festgenommenen gruppenweise entlassen. Etliche sind mit Fahrzeugen zurückgekommen, andere mussten den Weg zu Fuß zurücklegen. Den Frielingern blieb einige Zeit nach Kriegsende die traurige Pflicht, Sterbedaten und Namen ihrer Kriegstoten in die Gedenktafel am „Kriegerdenkmal“ prägen zu lassen:

 Rudolf Ringe

11.12.1941

 Bruno Acker

28.2.1941

 Hermann Müller

13.3.1942

 Josef Altenberg

26.3.1942

 Karl Wölfel

30.9.1942

 Rudolf Benecke

12.12.1942

 Ernst Winter

3.2.1943

 Alfred Ebrecht

19.7.1943

 Josef Artmann

8.10.1943

 Erwin Acker

23.12.1943

 Herbert Franz

27.12.1943

 Kurt Meyer

18.7.1944

 Martin Möller

16.8.1944

 Arnold Wehrmann

17.9.1944

 August Kruse

Nov. 1944

 Franz Turnsek[13]

Nov. 1944

 Wilhelm Rieckenberg

24.11.1944

 Martha Rieckenberg

24.11.1944

 Martha Rieckenberg

24.11.1944

 Sophie Rieckenberg

24.11.1944

 Heinrich Kolze

26.11.1944

 Gerhard Acker

24.12.1944

 Franz Koch

14.3.1945

 Karl Steiner

Mai 1945

 Fritz Hecht

20.7.1945

 Fritz Finke

20.8.1945

 Heinrich Hoppe

9.10.1945

 Johann Kolodzinski

9.5.1946

 Friedrich Bullerdieck

25.6.1946

 

Vermisst sind Heinrich Finke, Karl Groth, Otto Hermann, Hermann Lübbert, Alfred Möller, Fritz Öhlschläger und Hermann Steuernagel.

 


[2] Hinweis in Martin Weinmann: Das nationalsozialistische Lagersystem, Frankfurt/M. 1990.

[3] Otto Öhlerking, Frielingen, mündlich 1983.

[4] Sofern nichts anderes belegt ist, beruhen die folgenden Schilderungen auf Erinnerungen von Zeitzeugen.

[5] Laut einem den Autoren bekannten Zeitzeugen handelte es sich um den Südtiroler Nicolussilek aus Bozen, im Zivilberuf Wasserbauingenieur, der das Kommando über die 5. Waffen-SS-Division Wiking aus Sennelager hatte.

[6] Siehe Ulrich Saft, Krieg in der Heimat, Das bittere Ende zwischen Weser und Elbe, Langenhagen, 3. verb. Auflage 1990, S. 58 ff; gemeint ist Karl Nicolussi-Leck; siehe auch www.wiking-ruf.com/nicolussi-leck.html

[7] Hilde Wehrmann, Frielingen, mündlich 1983; siehe auch die Darstellung in: Ein unrühmlicher Fall, AK Geschichte Garbsen, Garbsen 1995.

[8] Captain Charles Richer, während des Krieges Pressesoldat der kanadischen Armee, berichtete im August 1984 gegenüber der Leine-Zeitung von einem 1981 in Ontario/Kanada erschienenen Buch über die Geschichte des 1. Kanadischen Fallschirmjäger-Battalions mit dem Titel „Out of the Clouds“ von John A. Willes, in dem ein Kapitel die „Battle of Frielingen“, also die Schlacht von Frielingen, behandelt. Richer hat im August 1984 noch einmal Orte um Schloss Ricklingen und Luthe aufgesucht, Fotos gezeigt sowie Zeitzeugen befragt, weil er die Herausgabe eines weiteren Buches plante. Die Leine-Zeitung berichtete über diesen Besuch in ihrer Ausgabe vom 20.8.1984. Ein späterer Briefwechsel des Arbeitskreises Dorfchronik Frielingen mit Richer ergab, dass dieses zweite Buch wohl nicht mehr fertiggestellt werden konnte.

[9] In: Zeitgeschichtliche Sammlung 1, 1983.

[10] Quellenangaben – Archiv des Landkreises Hannover Signatur KA NRÜ 1791, betr. Russenlager Frielingen; KA NRÜ 1786 Ausgrabung gestorbener oder gefallener alliierter Soldaten.

[11] Karl Püttmann gab 1999 mündlich die Auskunft, sie hätten lediglich drei Russen ausgegraben. Die Leichen wären noch in ihre Mäntel eingewickelt gewesen. In den Manteltaschen habe man Getreidekörner gefunden. Keiner trug Plaketten o.ä. zur Identifikation.

[12] War Diary of the 910 Mil Gov :Detachment B.A.O.R.-April-November 1945;WO (War Office) 171/8100 910/D/W1, Appendix J, June 1945.

[13] Auf der Tafel des Denkmals ist hier irrtümlich ein anderer Name genannt.

Wie sah der politische Neuanfang in Frielingen aus?

Bald nach Kriegsende setzte der große Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen[1] aus dem Osten ein, nachdem zuvor schon ausgebombte Städter Unterkunft auf dem Land gesucht hatten. Der für das Britische Besatzungsgebiet zuständige Feldmarschall Montgomery hatte am 30. Mai 1945 als erstes Ziel der neuen Obrigkeit die Versorgung der Bevölkerung mit „Nahrung, Obdach und Freiheit von Krankheit“ verkünden lassen. Auf alle Höfe wurden die Zugewanderten verteilt, jeder freie Raum ausgenutzt; es müssen unvorstellbar beengte Verhältnisse geherrscht haben. Die Miete von 6 bis 8 RM, die ein Bauer je abgegebenen Raum verlangen konnte, war sicher nur ein kleiner Anreiz, um Zimmer freizumachen. Wer übrigens höhere Preise nahm oder etwa Dielen und Kellerkammern vermietete, wurde bestraft. In Frielingen kamen noch einmal viele Familien in den Zimmern des alten Gutes unter. Die Einwohnerzahl des Kreises Neustadt hatte sich durch die vielen Zugewanderten bis nach dem Hauptflüchtlingsstrom im Herbst 1946 schließlich fast verdoppelt. Große Probleme und Differenzen, nicht nur wegen der oft angeordneten Beschlagnahme von Wohnraum, hat es demzufolge gegeben und den eingesetzten Kreisflüchtlingsbetreuern blieb nur die Hoffnung, bei den Kommunalwahlen, die irgendwann ja kommen sollten, ihre Interessenvertreter in die Gremien zu bekommen. Aus dem Kriegstagebuch der zuständigen britischen Einheit geht hervor, dass sich im Juni 1945 auch ehemalige Kriegsgefangene und so genannte Displaced Persons (DPs) in Frielingen aufhielten. 19 Polen, 2 Russen, 1 Franzose, 1 Holländer und 3 Letten sind verzeichnet.[2]

Seit Anfang Mai bereitete die Militärregierung die Einsetzung von „Headmen“[3] vor, die die 12 verhafteten und 11 abgesetzten Bürgermeister – einer davon war Frielingens Bürgermeister Finke – im Kreisgebiet ersetzen sollten. Am 23. Mai ernannte sie den bei der Reichsbahn beschäftigten Hilfsschlosser Fritz Rehburg, einen Sozialdemokraten, zum Bürgermeister. Dazu wurde ein sechsköpfiger beratender Ausschuss bestimmt. Aus diesem erweiterten Kreis fungierte August Prinzhorn als Rehburgs erster Stellvertreter.

Von den Gedanken um das eigene Überleben wurde in dieser schwierigen Zeit sicher noch einmal abgelenkt, als am 6. August 1945 die Atombombe auf Hiroshima fiel. Wahrscheinlich ist aber nicht sehr vielen Menschen bewusst gewesen, dass Deutschland diese Katastrophe erlitten hätte, wäre die Bombe vor Kriegsende in Europa einsatzbereit gewesen.

Nach dem ersten Nachkriegswinter 45/46 wurde klar, dass es im Winter darauf großen Mangel an Feuerungsmaterial geben würde. Der ebenfalls von der Militärregierung eingesetzte Oberkreisdirektor Raake gab daher am 3. Mai 1946 bekannt:

„Ich weise die Gemeinden erneut auf die Dringlichkeit der Gestellung von Torfstechern hin. Da im nächsten Winter keinesfalls mit einer Kohlenlieferung gerechnet werden kann und auch jeglicher Holzeinschlag unterbleiben muss, um den deutschen Wald nicht noch mehr auszuholzen, besteht die einzige Möglichkeit zur Brennstoffversorgung darin, dass die einzelnen Gemeinden Leute zum Torfstich entsenden. Ich mache hiermit nochmals darauf aufmerksam, dass die Gemeinden, die keine Torfstecher entsenden, auf keinen Fall mit einer Brennstoffversorgung für den kommenden Winter rechnen können. Es wird noch darauf hingewiesen, dass für den Torfstich nur gesunde und kräftige Leute infrage kommen.“

In den bereits erwähnten Kriegstagebucheintragungen finden sich immer wieder Hinweise auf die Entnazifizierungsmaßnahmen der britischen Soldaten: NS-Funktionäre und Beamte werden verhaftet, Filmbestände der Kinos dem Zensor vorgelegt, Nazi-Bücher aus den Büchereien entfernt. Am 1. Juli 1945 werden Instruktionen für die Sammlung von Bettzeug für die ehemaligen Häftlinge des KZ Bergen-Belsen erteilt; die Entnazifizierung der Banken im Kreis wird mit der Entlassung vieler Angestellter am 13. Juli als abgeschlossen gemeldet. Über die Tätigkeit der Entnazifizierungsräte 1946/47 ist in Bezug auf Frielingen bisher nichts bekannt. Die Demokratisierung des Landes konnte und sollte nur von unten nach oben erfolgen. Um Erziehungsarbeit an der Bevölkerung leisten zu können, fördert man vor allem die Jugendarbeit. Der Sozialdemokrat Paul Hergt aus Neustadt erhielt den Auftrag, die Gründung von Jugendgruppen in den Gemeinden des Kreises zu organisieren. Hergt war es auch, der ab 22. Februar 1946 die erste lizenzierte Zeitung, das wöchentlich erscheinedne „Amtsblatt für den Kreis Neustadt“, herausgeben durfte [4].

Dank der Zeitung wussten die Frielinger Bescheid, wann z. B. bestimmte Lebensmittelscheine ausgegeben wurden, was die Militärregierung von Gerüchten in der Bevölkerung, z.B. über England oder die Militärregierung selbst, hielt, wer wegen eines Eigentumsdeliktes oder Übertretens des Ausgehverbots bestraft wurde, welche Partei eine öffentliche Versammlung abhalten wollte, oder sie erfuhren ganz einfach etwas über die Familiennachrichten der Mitmenschen. Großen Platz nahmen natürlich die Kauf- und Tauschanzeigen ein, denn dem einen fehlte oft gerade das, was ein anderer nicht gebrauchen konnte. Besonders Fahrräder waren begehrte Artikel. Aber auch viel Garderobe wechselte die Besitzer. Manche Witwe war gezwungen, den Anzug oder Wintermantel des im Krieg gebliebenen Gatten gegen andere Waren einzutauschen, wie der Ausschnitt aus dem Kleinanzeigenteil des Amtsblattes vom 18. April 1947 zeigt.



[2] War Diary of the 910 Mil Gov Detachment B.A.O.R.- April-November 1945; WO (War Office) 171/8100 910/D/W1 Appendix J, June 1945.

[3] Ebd.

[4] Paul Hergt, Neustadt a. Rbge. mündlich 1982-1983.